Rauer Umgangston: Der Kleinkrieg der Autoren

So unterschiedlich die Artikelvielfalt in der Wikipedia ist, so unterschiedlich sind auch die Nutzer, die diese Artikel schreiben. In der deutschsprachigen Wikipedia arbeiten rund 18.000 aktive Nutzer an neuen Einträgen und an Verbesserungen der über 2 Millionen Artikel. Aktiv heißt hier, dass man in den letzten 30 Tagen mindestens fünf Änderungen (Edits) gemacht hat. In der Community spricht man daneben noch von einem harten Kern an sehr aktiven Nutzern. Davon gibt es immerhin noch gut 1.000. Diese Gruppe arbeitet quasi täglich und teilweise über mehrere Stunden an der Verbesserung der Enzyklopädie. So haben es die Fleißigsten in Deutschland schon auf mehrere hunderttausend Edits gebracht. Ein Nutzer hat seit 2003 so bereits unglaubliche 1,2 Millionen Änderungen vorgenommen. Das sind im Schnitt gut 250 Edits am Tag!

Wie im normalen Leben kommt es allerdings auch unter den Fleißigsten hin wieder zu Uneinigkeiten. Dabei ist der Ton nicht immer so gut wie die hohen Qualitätsansprüche der Wikipedia vermuten ließen. Ich habe im Folgenden ein paar typische O-Töne für den teils rauen Umgang eingefügt.

Unveränderte Originalzitate

  1. „Bevor Du hier die Klappe so weit aufreisst: lies wenigstens einmal den Artikel und mache wenigstens einen einzigen Edit dort. Meine Güte, was bist Du peinlich und merkst es nicht einmal.“

  2. „Tja, zu Ende lesen sollte man einen Artikel schon. Aber ich weiß, das fällt Dir schwer, weil Du ja der Erste beim LA-Stellen sein willst.“ [Anm. d. Red.: LA-Stellen = Einen Antrag zur Löschung eines Artikels stellen]

  3. „Was ist ein konzeptionsarmer Co-Google? Eine neue Hunderasse? Hört sich zumindest so an.“

  4. „der gesperrte Timmy will uns über regelgerechte Wikipedia-Benutzung belehren? Dann bitte mal los, ich bin schon ganz gespannt. Vor allem zu URVs als Vorbereitung für nicht-relevante Artikel durch nicht mehr aktive Autoren.“ [Anm. d. Red.: URV = Urheberrechtsverletzung]

  5. „Schäbig ist alleine der Fakt, dass ein Doktor Artikel in solcher "Siebte-Klasse-Oberschule"-Qualität einstellt.“ [Anm. d. Red.: Der Nutzername des Autors, auf den sich dieser Eintrag bezieht, beginnt mit „Dr“]

Besonders rau wird der Umgangston auch immer dann, wenn es um konträre Meinungen geht. So findet man nicht ganz sachlich geführte Diskussionen sehr regelmäßig auf der Seite Löschkandidaten. Dort wird entschieden, ob Artikel behalten oder gelöscht werden. Es ist wenig überraschend, dass die Wikipedianer sich hier häufiger mal nicht einig sind. Dies liegt mitunter daran, dass die als Bewertungsmaßstab zugrundeliegenden Relevanzkriterien nicht immer eindeutig sind und häufig Interpretationsspielraum zulassen.

So mancher Nutzer hat sich aufgrund des Tons auch bereits von der Wikipedia abgewandt. Schade ist dies insbesondere immer dann, wenn die vergraulten Nutzer sich viel Mühe gemacht, Zeit investiert haben und dann dafür unschön behandelt wurden. Auch führt das insgesamt nicht dazu, dass die Artikel weiter an Qualität gewinnen. Darüber hinaus gibt es Nutzer, die glauben, sie wüssten über gewisse Aspekte besser Bescheid als andere. Ab und an kommt es daher sogar vor, dass richtige Änderungen bzw. Verbesserungen wieder rückgängig gemacht werden. In der schlimmsten Form führen solche inhaltlichen Auseinandersetzungen zu einem sogenannten „Edit-War“, in dem unterschiedliche Nutzer ihre Änderungen gegenseitig wieder rückgängig machen bzw. gewisse Punkte immer wieder abändern.

Ein Erklärungsversuch

Nur warum ist das so? Wir blöken ja auch nicht jeden zweiten Menschen auf der Straße an, nur weil er anderer Meinung ist als wir. Meine persönliche Vermutung schließt auch genau an diese Überlegung an. Auf der Straße bewegen wir uns im Gegensatz zu der Wikipedia nicht anonym. Wir reflektieren und wägen die Konsequenzen ab, bevor wir etwas tun oder sagen. Hätten wir ähnliche Konsequenzen wie im richtigen Leben auch in der Wikipedia zu befürchten, wäre der Umgangston wohl ein ganzes Stück umgänglicher.

Fazit

Auch wenn der Umgangston in der Wikipedia manchmal etwas rauer ist, finden die meisten Gespräche und Diskussionen sehr gesittet und höflich statt. Lassen Sie sich also nicht abschrecken, bewahren Sie Ruhe und bleiben Sie sachlich in der Diskussion. Insbesondere für Unternehmensaccounts sollte dies aber selbstverständlich sein. Als Pressesprecher muss ich gegenüber Journalisten ebenfalls stets höflich bleiben und darf mich auch nicht von einer vielleicht (absichtlich) provozierenden oder stachelnden Art und Weise aus der Reserve locken lassen.

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